Die Komplexität von Stromerzeugung, -bedarf und -verteilung brachte schon in der Vergangenheit gelegentlich negative Preise im europäischen Großhandel mit sich, um Angebot und Nachfrage zum Ausgleich zu bringen. So weit nach unten wie am vergangenen Wochenende ging es aber, wenn überhaupt, schon viele Jahre nicht mehr. Am Sonntagnachmittag konnte man mit der Abnahme einer Megawattstunde ungefähr 500 Euro verdienen. Damit waren die Großhandelspreise so weit im negativen Bereich, dass selbst Endkunden mit flexiblen Tarifen für das Verbrauchen von Strom bezahlt wurden – wie mehrere Besitzer von Elektroautos stolz berichteten.
Zu Strompreisen unter Null an der Börse kommt es, wenn absehbar ist, dass die Produktion in der nächsten Zeit höher sein wird als der Bedarf. Für manche Erzeuger kann es insgesamt sinnvoller sein, trotz niedriger oder leicht negativer Preise weiter zu produzieren, weil auch das Herunterfahren eines Kraftwerks Kosten verursacht. Solche Situationen treten vor allem am Wochenende auf, wenn der Bedarf großer Teile der Industrie wegfällt und wenn gleichzeitig gute Wetterbedingungen für Wind- und Solarenergie herrschen.
Mit dem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Erzeugung in Europa, die sich um Wochenenden oder Ferienzeiten nicht kümmert, kommt die Stromgleichung derzeit zunehmend ins Ungleichgewicht. Am vergangenen Sonntag wurde laut einem Bericht von Bloomberg in Deutschland und den Niederlanden stundenweise der rekordverdächtige Negativ-Preis von 500 Euro pro Megawattstunde erreicht. Für jede abgenommene Kilowattstunde konnten Händler also 50 Cent einnehmen – mehr als die meisten Privatkunden mit festen Tarifen für den Verbrauch bezahlen.
Tatsächlich waren die Preise im Großhandel am Wochenende so niedrig, dass selbst nach Abzug von Netz- und Anbietergebühren für Endkunden noch etwas übrig blieb, wenn sie einen flexiblen Tarif hatten und zur richtigen Zeit verbrauchten. Solche Modelle bieten in Deutschland zum Beispiel Tibber oder Avatar an. In dem Forum Tesla Fahrer und Freunde (TFF) wurde berichtet, dass das am Sonntag tatsächlich funktionierte: Hauptsächlich am frühen Nachmittag bezog es 10 Kilowattstunden aus dem Netz zum Tesla-Aufladen – und bekam dafür insgesamt 1 Euro gutgeschrieben, statt zu bezahlen.
Wenn nicht gleichzeitig die eigene Solaranlage Strom geliefert hätte, wäre wohl noch mehr drin gewesen. So berichtete ein Twitter-Nutzer am Sonntag, seine Familie in Dänemark werde innerhalb von sechs Stunden ungefähr 17 Dollar verdienen, nur indem sie ihren Tesla Model 3 auflädt. Und auch im größeren Maßstab machten sich Elektroauto-Besitzer die negativen Preise zunutze: We Drive Solar habe erstmals einige Autos aus der Vermietung genommen, weil sie als stehender Stromspeicher wertvoller gewesen seien, berichtete ein Direktor des niederländischen Startups.
Je stärker allerdings Elektroautos und andere Akkus in das Stromsystem integriert werden, desto seltener dürften trotz erneuerbaren Wachstums auf längere Sicht extreme Preis-Situationen wie in diesem Sommer werden.
Sonnige Grüße von Ihrer
Ersten Deutschen Vorsorge eG